Wie können wir lernen, Dinge zu akzeptieren, die wir nicht ändern können?

Vor ein paar Wochen erklärte mir ein Herr, er hätte sich seit 20 Jahren nicht mehr schlecht gefühlt, weil er die Dinge mittlerweile annehmen könne, wie sie sind. Klingt doch nach einer idealen Lebensführung! Warum spürte ich trotzdem, dass sich bei seinen Worten Falten auf meiner Stirn zusammenzogen und mir dabei irgendetwas nicht so ganz richtig vorkam? Oder war ich nur neidisch, weil ich bei mir trotz Ausbildung in psychologischer Beratung sowie Achtsamkeit und Meditation trotzdem hin und wieder Gefühle wie Wut und Ärger verspüre, wenn mir etwas gegen den Strich läuft? Ist es denn falsch, sich auch mal demotiviert oder traurig zu fühlen, weil die Dinge nicht so laufen wie sie sollten? Dieser Frage bin ich auf den Grund gegangen.

Gott, gib mir die Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Reinhold Niebuhr

Warum es uns so schwer fällt, bei Enttäuschungen gelassen zu bleiben

Unsere heutige Gesellschaft ist großteils dazu erzogen, auf Leistungen und Erfolge zu blicken. Viele haben einen hohen Selbstanspruch und sind auf Machbarkeit und Kontrolle fokussiert. „Lösungsorientiertheit“ lautet das Schlagwort der heutigen Zeit. Und darin liegt die Krux: wir haben verlernt damit umzugehen, wenn sich ein Problem nicht lösen lässt, wenn es etwas gibt, das wir nicht kontrollieren oder ändern können. Daher antworten wir auf Dinge, die uns nicht zusagen und belasten oftmals mit Jammern, Klagen, übermäßigem Aktionismus oder Rückzug.

Gefühle zulassen – ein wichtiger Prozess!

So unangenehm es auch sein mag: Gefühle wie Schmerz, Minderwertigkeit und Enttäuschung sind Teil unseres Lebens. Manchmal zeigen sie sich durch Tränen oder Wutausbrüche. Doch manchmal versuchen wir, sie zu negieren und zu verdrängen. Allerdings ist es wichtig, unsere Gefühle ernst zu nehmen und sie zuzulassen. Der Psychologe Dr. Asmir Gračanin[1] von der Universität Tilburg in den Niederlanden konnte mit seinen Studie feststellen, dass sich durch Weinen Ruhe und Klarheit einstellen. Seine Testpersonen fühlten sich nach den Tränen erleichtert und besser gestimmt. Weinen hat eine erleichternde Wirkung und unterstützt den Erholungseffekt, dient also der psychologischen Homöostase, unserem inneren Gleichgewicht.

Was bedeutet Akzeptanz?

„Annehmen was ist“ – eine Floskel die wir alle kennen! Aber leider wird diese Lebensweisheit oft falsch verstanden und vermittelt ein unrichtiges Bild darüber, welche Prozesse bei Akzeptanz in unserer Psyche tatsächlich nötig sind.

Der deutsche Psychologe Andreas Knuf[2] beschreibt Akzeptanz als einen Vorgang, der sich durch das Aufspüren und Benennen der eigenen Gefühle bei einer Enttäuschung kennzeichnet. Wesentlich ist dabei, diese vorhandenen Emotionen auch anzuerkennen, zu würdigen und ihnen einen Platz einzuräumen. Wer ständig einen auf Prinzessin oder Prinz „Sonnenschein“ macht, wird wahre Akzeptanz für sich schwer finden können. Solang wir versuchen, uns gegen das Gefühl von Enttäuschung zu stemmen, unsere Wut und unseren Ärger nicht wahr haben wollen, solang kann kein wahrhaftes Annehmen der Situation stattfinden. Der Prozess der Akzeptanz ist nichts, was man „einfach annimmt“ und man plötzlich auf wundersame Weise „los lässt“. Akzeptanz ist ein länger andauernder Prozess, der sich nur nach und nach vollziehen kann.

Eine Metastudie[3] über 24 Einzeluntersuchungen konnte belegen, dass sich psychische Beschwerden und Lebenskrisen verschlimmern, wenn Emotionen vermieden und unterdrückt werden. Durch Emotionsvermeidung können psychische Symptome wie Depressionen und Ängste den Leidensdruck sogar noch erhöhen.

Akzeptanz lernen

Wie lässt es sich also erlernen, Enttäuschungen und Verletzungen besser hinzunehmen? Zum einen helfen uns kleine Enttäuschungen des Alltags, um uns selbst beim Umgang mit diesen Mini-Krisen zu beobachten. Wie gehe ich damit um, wenn es an meinem freien Tag regnet, wo ich doch ins Schwimmbad gehen wollte? Welche Gefühle habe ich, wenn mir jemand im letzten Moment ein lange vereinbartes Treffen absagt? Wie regiere ich, wenn in meinem Lieblingslokal kein Platz mehr frei ist? Hier bietet es sich an, seine Gedanken, sein Verhalten und seine Reaktion zu beobachten und wie eine Notiz festzuhalten. Man begibt sich in die Rolle des Beobachters und beschreibt die Reaktionen auf das Geschehen wie ein Reporter in einer Zeitung. Dadurch tritt man aus dem Ereignis heraus und hat die Möglichkeit ein Gefühl dafür zu entwickeln, wann eine Situation nicht veränderbar ist. Man beginnt allmählich, sich mit alternativen Möglichkeiten zu beschäftigen. Lese ich beim Regen ein Buch statt ins Schwimmbad zu gehen? Entdecke ich ein neues Lokal, wenn in meinem Stammlokal nichts mehr frei ist?

Wer Dinge akzeptiert, resigniert oder kapituliert deshalb nicht! Man blickt lediglich den Unveränderlichkeiten ins Auge, gibt seinen damit verbunden Emotionen ihren Platz und entscheidet sich anschließend aktiv dafür, die Situation so anzunehmen wie sie ist.

Nehmen Sie sich hin und wieder die Zeit um sich zu fragen, ob es aktuell eine Gegebenheit gibt, die Sie momentan nicht gut akzeptieren können. Versuchen Sie sich an ähnliche Beispiele aus der Vergangenheit zu erinnern und wie Sie die Situation damals bewältigt haben. Stellen Sie sich zwischendurch selbst die Frage: „Was würde ich jetzt fühlen, denken und tun, wenn ich die Situation so akzeptiere wie sie ist?“ Gestehen sie es sich auch ein, wenn sie den Wunsch verspüren, den unangenehmen Gefühlen ausweichen zu wollen. Nehmen sie es wahr und fragen sie sich, wem es nutzt, wenn sie ausweichen und es überhaupt ein wahrer Nutzen ist? Damit üben sie sich in der Selbstbeobachtung und das verleiht Ihnen einen aktiven Handlungsspielraum.

ACT – ein neuer Beratungsansatz für mehr Akzeptanz

Der amerikanische Psychologe und Psychotherapieforscher Steven C. Hayes[4] entwickelte Ende der Jahrtausendwende einen neuen therapeutischen Weg, der sich Akzeptanz und Commitmenttherapie (kurz: ACT) nennt und einen vielversprechenden Weg aufzeigt, um Unveränderliches besser annehmen zu können. Inhalte dieses neuartigen Beratungsansatzes sind Akzeptanz- und Achtsamkeitsstrategien sowie Strategien der Verhaltensänderung und des engagierten Handelns.[5] Mit diesen Beratungsansätzen soll die psychische Flexibilität erhöht werden, die für stets wechselnde Lebensbedingungen erforderlich ist.

Diese Methode wird auch bereits in in unserer steirischen Landeshauptstadt erfolgreich angewandt: Die Grazer Psychotherapeutin und Leiterin des Zentrums für Psychische Gesundheit, Eva Szyszkowitz-Ngo, hat sich in der Akzeptanz und Commitmenttherapie fortgebildet und bietet diese Form der therapeutische Unterstützung in Ihrer Praxis am Joanneumring II in 8010 Graz zielführend an: http://www.verhaltenstherapie-graz.at/eva-szyszkowitz/

Um nun abschließend auf den anfangs genannten Herren zurück zu kommen. Vielleicht hat er wirklich das Patentrezept für ein stets friedvolles Leben gefunden? Mir wäre das allerdings zu wenig „lebendig“ und in meine Garten der Emotionen zu langweilig. Ich habe all diese Emotionen – die angenehmen wie die unangenehmen – doch wohl nicht ohne Grund erhalten und sie erfüllen einen Zweck. Wichtig ist es, dass wir uns von unseren negativen Gefühlen nicht überschwemmen lassen, sondern sie annehmen, betrachten, ihnen Platz aber keinen uneingeschränkten Raum geben. Dass wir lernen, den unangenehmen Gefühlen nicht zu sehr nachzugeben und auch eine gewisse Selbstdistanzierung üben, um uns nicht ständig um uns selbst und unsere negativen Emotionen zu drehen. Hilfreich ist es, seinen Blick von sich selbst abzuwenden und sich Dingen zuzuwenden, die sinn- und herzerfüllend sind.

Herzlichst, Ihre Andrea Glehr-Schmit

Literaturtipps:

Akzeptanz- & Commitment-Therapie: Achtsamkeitsbasierte Veränderung in Theorie und Praxis, von Stefen C. Hayes et al.,Junfermann Verlag

Das Leben annehmen – So hilft die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) von Matthias Wengenroth, hogrefe-Verlag


[1] Why crying does and sometimes does not seem to alleviate mood: a quasi-experimental study, Asmir Gračanin et.al, Aug. 2015

[2] Widerstand zwecklos: Wie unser Leben leichter wird, wenn wir es annehmen, wie es ist; Okt. 2018, Kösel Verlag

[3] Experiential avoidance as a functional dimensional approach to psychopathology: An empirical review; Neharika Chawla & Brian Ostafin; Journal of Clinical Psychology, Sept 2007, S. 871-890

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Steven_C._Hayes

[5] https://contextualscience.org/ACT_Germany